#5: PROJEKTKERN (2)

BEHERRSCHENDE IDEE, EMOTIONALE THEMEN UND STORYMODELL, EXISTENZ UND TRANSZENDENZ

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Foto ©2014 Janosch Orlowsky
Im zweiten Teil geht es um das konkrete Arbeiten mit dem Projektkern, die Findung der beherrschenden Idee (zu der unbedingt die eigene Haltung gehört) und die Variation von emotionalem Themen.
Eine praktische Analyse anhand von La Grande Bellezza.
Außerdem: universelles Storymodell und der Max-Neef-Irrtum.
BEHERRSCHENDE IDEE
Ist der Kern, das emotionale Zentrum des Projektes oder Werkes gefunden, ist der nächste Schritt die Formulierung der beherrschenden Idee.

Anhand des Beispiels von La Grande Bellezza (Paolo Sorrentino, 2013) möchte ich die Funktionsweise einer beherrschenden Idee untersuchen.

Auf den Begriff der „beherrschenden Idee" stieß ich erstmalig in dem Buch STORY von Robert McKee, der allerdings zu unkonkret bleibt, wie man tatsächlich eine beherrschende Idee findet und entwickelt.

McKee spricht vom Prinzip von WERT und URSACHE.

Die beherrschende Idee (Controlling Idea) besteht tatsächlich aus folgenden wesentlichen Merkmalen:

• Emotionaler Kern (des Filmes / Projektes / Werkes)
• Hauptkonflikt
• Haltung des Machers / der Macherin (ggf. auch Identität eines Unternehmens bei Außenkommunikation)

Bei La Grande Bellezza ist der emotionale Geschichtskern TOD.

Wie zuvor erwähnt, ist jeder Geschichtskern (wie alles im Leben) dual aufgeladen. Hat man den Kern gefunden, sollte man bedenken (was sich insbesondere bei diesem Sachverhalt lohnt), dass zum Geschichtskern TOD die diametral entgegengesetzte Kraft gehört: LEBEN.

Der Titel des Filmes verrät, worum es im Innersten des Filmes geht - die große Schönheit - der Tod als Erlösungsidee, jedoch entdeckt der Protagonist Jeb am Ende die Schönheit des Lebens.

Also ist der emotionale Geschichtskern in Die große Schönheit das Spannungsfeld zwischen Tod und Leben.

Sorrentino wusste vermutlich früh, vielleicht zunächst aufgrund eines Instinktes, dass seine Hauptfigur Schriftsteller und Lebemann ist.
Auf jeden Fall ein Künstler.

Betrachtet man mögliche Definitionsversuche von Kunst, gehen die Meinungen weit auseinander; es ist schwer, Kunst zu definieren.


Viele renommierte Experten und Künstler selber vertreten die Meinung, dass ein künstlerisches Werk von seinem praktischen Zweck oder auch Nutzen losgelöst ist.

Es ist natürlich schwierig, eine Sache über eine Eigenschaft zu definieren, die sie nicht hat.
Vielmehr ist dieser Gedanke ein Ausschlusskriterium.

Folgt man jedoch diesem Ausschlusskriterium, fragt man sich natürlich, was denn eigentlich der Sinn von Kunst ist.

Ich persönlich bin davon überzeugt, dass Kunst eine starke Ausdrucksform des Menschen in seinem Streben nach Bedeutung im Angesicht seiner Vergänglichkeit ist.

Künstler wollen zu Anerkennung und Erkenntnis durch ihre Arbeiten kommen, ihre eigene Persönlichkeit und Erfahrungen ihres Lebens ausdrücken und auch weitergeben.

„Ausdruck" und „Weitergabe" sind elementare Bestandteile dieser Kunstdefinition, denn ginge es nicht um Ausdruck und Weitergabe, könnte die Künstlerin / der Künstler sich mit dem Aufziehen ihrer / seiner Kinder „begnügen", doch das reicht dem Künstler nicht, sonst wäre er kein Künstler geworden.

Rezipienten finden sich in manchen Kunstwerken selber wieder, entdecken vielleicht Bilder, Begriffe und Gefühle, die ihnen zu Selbsterkenntnis und Verständnis ihres eigenen Lebens verhelfen.

Kunst hat auf jeden Fall eine metaphysische, eine spirituelle Kraft.


So wie sich Menschen gerne fortpflanzen, um ihre Gene weiterzugeben, will ein Künstler gerne ein Teil seiner Gene / seiner Persönlichkeit in einem Werk weitergeben.

Genau, wie es außergewöhnliche Menschen gibt, die andere inspirieren, berühren oder zu Erkenntnis verhelfen, gibt es auch Kunstwerke, die dasselbe leisten.

Nicht umsonst ist deswegen die Hauptfigur in La Grande Bellezza ein Künstler, der um den Geschichtskern „Tod" herum agiert.

Er sucht nach Bedeutung, da die Jahre vorbeigezogen sind, er weiß, dass er nicht mehr viel Zeit hat.

Also hat die beherrschende Idee bereits mit zwei wichtigen Merkmalen zu tun:
TOD (+LEBEN)
SUCHE NACH BEDEUTUNG

Nun kommt die glücklicherweise positive Haltung des Autors / Regisseurs Sorrentino ins Spiel.

Er liebt seinen Protagonisten und wünscht ihm, dass er nicht nur zu einer tieferen Erkenntnis über seine Existenz kommt, sondern zudem auch noch Inspiration findet (ein schöner Querverweis auf Fellinis 8 ½, in dem es um einen Menschen auf der Suche nach Inspiration geht).

Wie schon in den ersten Artikeln (Leben und Dramturgie #1 & #2) beschrieben, gibt es nur drei Lösungen für das grundsätzliche Dilemma von emotionalen Erzählungen - drei Auflösungsmöglichkeiten:

POSITIV GELADEN = ENTGRENZUNG
NEGATIV GELADEN = ANGST
NEUTRAL = HALTUNGSFREI oder tatsächliche AMBIVALENZ

Natürlich gibt es im wahren Leben zu jeder Haltung unzählige „ABERs" und Bedingungen.

All diese „Abers" und Bedingungen werden während der (Film)handlung jedoch auf allen Ebenen durchdekliniert, sie sind die Metaebene des Plots.

Und selbstverständlich handelt es sich bei berührenden Werken / Arbeiten um globale (allgemein gültige) "Aber"-Fragenstellungen und -Konflikte, die erhebliche Überschneidungen mit dem Empfinden der Rezipienten aufweisen.

Am Ende eines Filmes (etc.) erwartet die Zuschauerin / der Zuschauer deswegen unbedingt eine Haltung des Machers

oder

eine so starke, existentielle Ambivalenz, dass der Rezipient auf sich selber zurückgeworfen wird und die zentrale Frage des Filmes für sich beantworten muss.


Wir kennen nun die drei Komponenten von La Grande Bellezza, um die beherrschende Idee zu formulieren:

KERN: TOD / LEBEN
KONFLIKT: SUCHE NACH BEDEUTUNG IM ANGESICHT DER VERGÄNGLICHKEIT
HALTUNG: POSITIVE AUFLÖSUNG / ENTGRENZUNG / LÄUTERUNG

Die beherrschende Idee von La Grande Bellezza lautet somit:

Wir können nur ein erfülltes Leben führen (WERT), wenn wir auf der Suche nach Bedeutung unsere eigene Vergänglichkeit akzeptieren (URSACHE).

Sie enthält

- den emotionalen Kern: Tod / Vergänglichkeit im direkten, diametral entgegengesetzten Kontrast zum Leben

- den zentralen Konflikt: die anfängliche Nicht-Akzeptanz des emotionalen Kerns durch den Protagonisten auf seiner Suche nach Bedeutung

- die Haltung: positiv, Entgrenzung - und damit Wert: eine Erkenntnis des Wertes des Lebens, die noch in einer Inspiration des Protagonisten gipfelt - die Ursache manifestiert sich im Lotterleben des Protagonisten, der zunächst nicht akzeptieren will, dass er älter wird und irgendwann das irdische Dasein loslassen muss.

In einem einzigen Satz lässt sich die gesamte Story von La Grande Bellezza beschreiben. Der Satz drückt zudem die Haltung des Machers zu dieser Lebensfrage und eine tiefe Wahrheit über unser Dasein aus: nur, wenn wir vollkommen akzeptieren, dass wir vergänglich sind, können wir das Leben wirklich genießen (und tolle, berührende Arbeiten schaffen), somit ist La Grande Bellezza eine vielschichtige, wahrhaftige Erzählung über das Leben.

Sowohl die beherrschende Idee, als auch der emotionale Geschichtskern sind so allgemeingültig / global, dass sie anscheinend überall auf der Welt funktionieren, nicht nur in Italien oder Europa, wie der Gewinn des Oscars zeigt. Im Übrigen weist A Beautiful Mind (2001) von Ron Howard DIESELBE beherrschende Idee auf. Auch A Beautiful Mind wurde mit mehreren (4 Oscars) ausgezeichnet.
Eine interessante Koinzidenz ist, dass Gravity (2013), Alfonso Cuarón, 2014 mit sogar sieben Oscars ausgezeichnet wurde. Gravity hat eine leicht variierende beherrschende Idee, aber denselben Geschichtskern wie La Grande Belezza: das duale Spannungsfeld zwischen Leben und Tod.

Alle sehr erfolgreichen Filme, Werke und Arbeiten im Unterhaltungssektor haben einen existentiellen spirituellen Kern.

Aus wenigen Anhaltspunkten - oder aus ganz groben Ideen lässt sich mit dieser Methode sehr präzise das Rückgrat einer Story, eines Projektes, einer künstlerischen Arbeit oder auch einer Kommunikationsstrategie bestimmen.

• Der Kern lässt sich mittels des Kreismodells bestimmen.

• Mit etwas Übung - und vor allem Introspektion - offenbart sich der Grundkonflikt bereits unter den Oberflächen von einer, zwei oder mehreren Szenen, in groben Grundideen oder anhand von scheinbar unbedeutenden Anhaltspunkten, wie z.B. das Handeln einer Figur in einer oder aber auch mehreren, bestimmten Situationen.

• Die Haltung (und somit Auflösung) ist eine manchmal schmerzvolle Frage, die der Macher / die Macherin vielleicht nur mit dem Bauch beantworten kann.
Es gibt, wie bereits beschrieben, nur drei mögliche Auflösungen für jede Story und jede Emotion:

A) positiv (Entgrenzung)

B) negativ (Angst - Sicherheitsstreben)

C) wertneutral (Der wertneutrale Ausgang einer Geschichte drückt entweder Haltungslosigkeit oder Unwissenheit aus - oder eine tiefe, existentielle Ambivalenz, die auf den Rezipienten übertragen werden muss).
EMOTIONALE THEMEN UND STORYMODELL
Nachdem Geschichtskern und beherrschende Idee eines Projektes gefunden sind, geht es darum, die emotionalen Themen herauszuarbeiten.

Dieser Abschnitt gilt insbesondere für Erzählformen mit einer Zeitkomponente (z.B. Film, Serie, TV, Event, Literatur, Theater usw.).

Bei längeren Werken nur auf ein einziges emotionales Thema zu setzen, funktioniert, aber es beraubt ein Werk oder eine Arbeit um sein Potential, ein möglichst komplexes, organisches und vielfältiges Abbild eines bestimmten Sachverhaltens des Lebens zu bieten.

Natürlich gibt es ein bestimmendes emotionales Thema, das fest im Geschichtskern verankert ist - dies ist der emotionale rote Faden einer Arbeit.

Um diesen roten Faden herum sind jedoch Variationen von emotionalen Themen aufgebaut, die sich stetig steigern.

Diese emotionalen Themen sind immer mit dem Geschichtskern verwandt, oft haben wir sie schon bei der Kreisanalyse entdeckt -

und wenn wir nun rückwärts - von innen nach außen arbeiten - werden die Emotionen immer oberflächlicher, die Themen(paare) und Ideen, die auf den weiter außen liegenden Kreisen liegen, eignen sich hervorragend, um einzelne Folgen (bei Serien), Akte, Sequenzen oder Szenen emotional aufzuladen.

Es ist wichtig, ganz am Anfang des Werkes / der Arbeit EINEN FÜHLBAREN IMPULS zu geben, was der (emotionale) Kern des Projektes ist.

Dies ist Teil des Deals mit der Zuschauerin / dem Zuschauer, dieser Impuls gibt die Richtung des Projektes vor (DIRECTION) und von diesem Moment an besteht ein Pakt zwischen Erzähler(in) und Publikum / Rezipient.

Das Publikum hat von nun an eine EMOTIONALE Erwartungshaltung an das, was geboten wird.


Bei La Grande Bellezza stirbt - scheinbar zusammenhangslos - in der ersten Sequenz ein (vermutlich japanischer) Tourist beim Fotografieren von Roms Herrlichkeit.

Diese opulent fotografierte und montierte Sequenz ist jedoch der fühlbare Impuls, der der Zuschauerin / dem Zuschauer (metaphysisch) klar macht - es geht um Tod, um Vergänglichkeit, die jeden von uns in jedem Augenblick ereilen kann.

Grundsätzlich greift nun die Grundregel, von nun an der Zuschauerin / dem Zuschauer GENAU DAS ZU GEBEN (Emotion, Kern) WAS SIE / ER ERWARTET aber NICHT, WIE sie / er es erwartet.

Nun ist die Kreativität der Schöpferin / des Schöpfers gefragt, Plot und Themen auf originelle Weise zu erfinden, zu schöpfen und zu variieren.
Stets zu überraschen (Wendungen), vielleicht auch zu schockieren und auf gar keinen Fall zu langweilen.

Spannungsbögen, Subplots und Handlungsstränge können auf diese Weise ebenfalls aufgebaut werden, jeder Bogen hat einen Anfang und ein Ende, genau wie jede zeitliche Erzählung.

Die variierenden emotionalen Themen sind jeweils das UNSICHTBARE SPANNUNGSFELD unter einzelnen Folgen / Sequenzen / Akten - die die Erzählung und einzelne Momente emotional machen - darunter liegen als Fundament

FIGURENENTWICKLUNG / VERÄNDERUNG
BESTIMMENDES EMOTIONALES THEMA
BEHERRSCHENDE IDEE
KERN

Im Prinzip sind dies die Mindestlayer für ein intensives, emotionales Erzählen, hinzu kommen noch Genre (was ein praktischer Kompass ist) und Plot.
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©2014 decodingcinema.com / Janosch Orlowsky
Anhand dieses Storymodells lassen sich innerhalb kurzer Zeit das emotionale Bauprinzip und die Substanz jedes Filmes, jeder Serie, Show usw. bestimmen.

Auch bei Development- / Drehbuch- / Schreibprozessen und bei Lektoraten kann dieses Modell in beide Richtungen angewandt werden und das metaphysische Muster einer Arbeit bestimmt werden.

Mit einem sehr guten Drehbuch wird selbst ein schwächer inszenierter Film noch intensiver wirken als ein Hochglanz-Werk, das nur Sensationen erzählt.

EMOTIONALE THEMEN(PAARE)
Hier die relevantesten emotionalen Themenpaare (Spannungsfelder) im Film als (mögliche) Begriffspaarungen:

Freiheit - Unfreiheit / Gefangenschaft

Liebe - Lieblosigkeit / Hass

Vertrauen / Selbstvertrauen - Zweifel / Verrat (Variationen: Glaube, Zuversicht)

Verantwortung - Verantwortungslosigkeit

Freundschaft - Isolation

Familie - Isolation

Heimat - Isolation

Verlust - Gewinn / Erfolg

Schuld - Läuterung / Sühne / Rache

Respekt - Respektlosigkeit (Variationen: Erfolg / Scheitern oder auch Selbstverwirklichung)

Identität - Identitätslosigkeit

Leben - Tod, Vergänglichkeit

Beim Thema LOYALITÄT geht es entweder um VERTRAUEN oder um eines der Themen FAMILIE, FREUNDSCHAFT, LIEBE. Es ist immer relevant zu betrachten, wie das jeweilige Thema geartet ist.
Das Thema MACHT (OHNMACHT) gehört entweder zu RESPEKT oder zu FREIHEIT.


Alle emotionalen Themen lasen sich im Kern auf ein Begriffspaar reduzieren:
Zugehörigkeit und Isolation.


Noch tiefer auf das Individuum und die innersten Antriebe des Individuums reduziert, geht es natürlich wieder immer um das Spannungsfeld zwischen Angst und dem menschlichen Streben nach Entgrenzung.

Das ist die ultimative, weil elementare Schnittmenge zwischen jedem Werk / jeder Arbeit / jeder Kommunikation und dem Rezipienten.

Das alles mag nun etwas schwarzweiß klingen, tatsächlich fasziniert uns jedoch alle Schwarzweiß, weil wir tief in uns erahnen, dass tiefe Wahrheiten nur an den Enden des emotionalen Spektrums verborgen liegen.

Schwarzweiß ist Wahrheit, weil alle Dinge im Leben dual sind.
Alles bewegt sich in diesem Spektrum.

Bewusstes Leben und bewusste Emotionen und somit wahrhaftige Erzählungen kennen das exakte Maß auf der Skala zwischen den beiden Enden.

Was hat beispielsweise das Thema Freiheit zunächst mit ZUGEHÖRIGKEIT / ISOLATION und dann auch noch mit ANGST / ENTGRENZUNG zu tun?
BEISPIEL THELMA & LOUISE
Betrachten wir Ridley Scotts Film Thelma & Louise, der als bestimmendes emotionales Thema und Geschichtskern (den Umgang mit) Freiheit hat.

Zwei Frauen auf der Suche nach Freiheit, eine von ihnen auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Ehemann.

Sie wollen bei einem wilden Wochenendausflug in Louises schickem Cabrio eine kurze, intensive Entgrenzungserfahrung machen.

Thelma, die unter ihrem despotischen Ehemann leidet, ist in ihrer Beziehung ISOLIERT.
Louise, die vor Jahren in New Mexico vergewaltigt wurde, leidet an einer INNEREN ISOLATION (weswegen es ihr schwerfällt, sich ihrem aktuellen Freund hinzugeben).

Deswegen suchen sie gemeinsam mit der Freundin (Freundschaft als emotionales Sub-Thema) Entgrenzung.

Sie überschreiten bei ihrer spirituellen Reise Grenzen und können irgendwann nicht mehr zurück.

Das Entgrenzungsstreben der Heldinnen Thelma und Louise trifft mit voller Wucht auf die geschriebenen und ungeschriebenen Gesellschaftsregeln und entfesselt so einen packenden, dramatischen Storyverlauf.

Thelma und Louise werden schließlich von der Realität und Thelmas Ehemann eingeholt, sie können die ursprünglich angestrebte Freiheit nur noch im Tod finden.


Die Story ist Handlung / Aktion (Plot) in organisch arrangiertem Timing mit Emotion (Kern / Subtext etc.) - mit - in diesem Fall - durchorchestriertem, reudziertem Erzählhandwerk.
Und eine gute Story ist nichts weiter als eine zugespitzte Wahrheit über das Leben und die Welt, in der wir leben.

Plot ist Handlung.
Alles darunter ist (unsichtbare) Metaphysik, ausgehend vom Kern - mit (unter anderem) auf Szenen, Sequenzen, Folgen oder Passagen konzentrierten emotionalen Themen.
ALLES, INKLUSIVE DEM PLOT ist um der Kern herum
emotional und rational plausibel aufgebaut.


Das Bedürfnis nach Freiheit, wie in Thelma & Louise hat immer eine Ursache.

Auch hier lässt sich das in Teil 1 beschriebene Kreismodell anwenden.

Irgendwann kommt man auch bei der Tiefenanalyse des emotionalen Themas „Freiheit“ entweder bei einer ZUGEHÖRIGKEITS- oder einer ISOLATIONSFRAGE an.

Dies kann auch, anders als bei Thelma & Louise, ein different geartetes, spirituelles Motiv sein:

Beispielsweise ein Mensch, der sich auf eine Weltreise begibt, um eine tiefere (spirituelle) Verbindung mit anderen Menschen / Kulturen zu finden oder eine überwältigende Naturerfahrung zu machen - weil sie oder er sich in ihrem oder seinem (z.B. urbanen oder banalen) Alltag isoliert fühlt.

Noch eine Ebene tiefer, geht es dann wiederum um das Kernpaar Angst und Streben nach Entgrenzung, das durch alle Lebensbereiche wirkt, dessen Spannungsfeld alle menschlichen Emotionen auslöst und bestimmt.

Der ängstliche Mensch macht vielleicht nie (bis zu seinem / ihrem Tod) eine Entgrenzungserfahrung, während der Mensch, der regelmäßig nach Entgrenzung strebt und diese zulässt (was z.B. erfüllte Beziehungen, eine Familie, Freundschaften und andere Zwischenmenschlichkeiten sein können) das erfülltere, glücklichere Leben lebt.
EXISTENZ
Warum gibt es keinen tieferen Kern als ANGST und das STREBEN NACH ENTGRENZUNG?

Das Streben nach Entgrenzung ist uns qua Existenz in die Wiege gelegt.

Die Geburt ist die erste weltliche Entgrenzung, wir verlassen die ultimative Geborgenheit des Mutterleibs und werden auf diese Welt geworfen, wiederum gefangen in unserem Körper (um es mal schön bildhaft zu beschreiben) und gefangen in den naturwissenschaftlichen und weltlichen Gesetzen und Regeln unseres Planeten.

Der Geburtsvorgang ist DUAL mit Angst und Entgrenzung aufgeladen:
Mit Entgrenzung, weil wir einen anderen Körper verlassen und in ein Leben voller Möglichkeiten entlassen werden.
Mit Angst, weil wir auf einmal die sichere, warme Geborgenheit des Mutterleibs verlassen.

Der Tod ist die letzte und ultimative Entgrenzung unseres irdischen Daseins, auch er ist wie schon zuvor beschrieben, DUAL:
ENTGRENZUNG - wir verlassen wieder die Grenzen unseres Körpers,
ANGST - zu Lebzeiten haben viele Menschen Angst vor ihrer Vergänglichkeit, aus Unwissenheit vor dem Kommenden.

Wir sind praktisch dazu verdammt, in Allem - was wir tun, uns wünschen, wonach wir uns sehnen, wovon wir träumen - immer nach Entgrenzung zu streben.
Mal bewusst, oft unbewusst.

So tief sind wir mit dem Anfangs- und dem Endpunkt unseres Lebens verbunden.

ANGST wiederum kommt als direkte antagonistische Kraft unseres Strebens nach Entgrenzung dann ins Spiel, wenn wir uns unserer Wünsche, Sehnsüchte und Bedürfnisse bewusst werden oder diese zumindest so stark an unserem Bewusstsein nagen, dass wir sie fühlen können.

Angst kann ab gewissen Punkten die Kontrolle übernehmen und ganze Leben hemmen, bremsen oder sogar vernichten, bestimmende Kraft werden.

Aber zuerst ist immer unser Streben nach Entgrenzung, weil das Positive - die nach Verbindung und Überwindung unserer existentiellen Isolation strebende Kraft - tief in unserem Wesenskern verankert ist.

Dieses existentielle, ursprünglichste Streben des Menschen bedingt qua Existenz seine Gegenkraft, die Angst.

Mit diesem Modell lassen sich alle menschlichen Handlungen und Emotionen erklären, weil diese beiden Kräfte ursächlich sind.

So lässt sich auch jedes scheinbare Paradox oder jegliche vermeintliche Irrationalität aufklären.

Wenn wir eine menschliche Handlung nicht verstehen, liegt es daran, dass wir nicht tief genug nach dem Kern im elementaren Spannungsfeld des Menschen gesucht haben.


Was unter dem Spannungsfeld von Angst und Entgrenzung liegt, weiß niemand von uns mit Bestimmtheit.

Wir haben Ahnungen, Mutmaßungen, glauben vielleicht an gewisse Dinge, aber niemand hat Gewissheiten, schon gar nicht kirchliche Institutionen, diese vermarkten in erster Linie das Geschäft mit Transzendenz, wobei ich keiner kirchlichen Institution ihre stützende Funktion strittig machen möchte.

Jeder, der schon einmal in einem länger andauernden (z.B. schöpferischen) Flow gewesen ist, wirkliche Liebe mit einem anderen Menschen erfahren und geteilt hat oder ein tiefes Erleuchtungserlebnis hatte, weiß, dass es eine große, nicht quantifizierbare, energetische Kraft gibt, die alles verbindet.

Man könnte dies (religions- und konfessionsunabhängig) als das Göttliche bezeichnen.

Die Erfahrung dessen ist vermutlich das maximal mögliche Entgrenzungserlebnis, das wir auf dieser Welt erfahren können.

Die Ursache für diese Kraft oder Energie kennen wir nicht.

Aber für Filme, Unterhaltungsprojekte, Kunstwerke, vielleicht auch anders geartete Kommunikationsprojekte genügt das Wissen um das elementare Spannungsfeld, das tief in jedem Menschen verwurzelt ist und permanent in uns arbeitet.

Kein Rezipient - so wage ich zu behaupten - kennt Gefühle, die noch tiefer gehen, als die „göttliche" Kraft, die alle Menschen und Dinge elementar verbindet.

Wer als Kreativer oder Künstler an der transzendenten Grenze zumindest kratzt, oder sie sogar überschreitet, und sich bewusst wird, was ihn oder sie selber im tiefsten Innern (des möglich Erfahrbaren) antreibt, dies auf seine Arbeit übersetzen kann - und dann sein Handwerk meisterhaft orchestriert, hat enormes Potential, eine große Gruppe von Rezipienten zu erreichen und zu berühren.

Dies ist das größte Geheimnis von Arbeiten, die berühren.



PROJEKTKERN 2 © 2014 Janosch Orlowsky. Nachdruck und / oder Verbreitung nur mit schriftlicher Genehmigung.
APPENDIX: BEDÜRFNIS (NEED), MAX-NEEF / TRANSZENDENZ
Need ist ein gängiger Begriff in der (Film)Dramaturgie - was ist das Need der Hauptfigur(en)?
Das Need einer Hauptfigur ist immer eng mit dem Kern und dem bestimmenden emotionalen Thema verwandt. Max-Neef nennt neun Hauptbedürfnisse.

...

Quelle: Wikipedia, 17.04.2014, http://de.wikipedia.org/wiki/Bedürfnis

Der Ökonom Manfred Max-Neef sieht Bedürfnisse nicht nur als Mangel, sondern gleichzeitig auch als individuelle und kollektive menschliche Potenziale.
Im Unterschied zur traditionellen Auffassung, dass menschliche Bedürfnisse unbegrenzt seien, ständigen Wandlungen unterlägen und sich von einer Kultur zur anderen veränderten und in jeder historischen Entwicklungsphase unterschiedlich seien, geht Max-Neef davon aus, dass die menschlichen Grundbedürfnisse begrenzt [stillbar], zahlenmäßig gering und klassifizierbar – weil sozial-universal (unabhängig von Person, Ort, Kultur, historischer Epoche) – sind. Sie stünden miteinander in einer Wechselbeziehung und interagierten.
Er schlägt für eine Taxonomie der menschlichen Grundbedürfnisse folgende neun axiologische Wertkategorien vor:

1)
Subsistenz (span. subsistencia, engl. subsistence),

2)
Schutz (span. protección, engl. protection),

3)
Zuwendung (span. afecto, engl. affection),

4)
Verständnis [Verstehen, sich entwickeln] (span. entendimiento, engl. understanding),

5)
Partizipation (span. participación, engl. participation),

6)
Muße [Entspannung, Spiel] (span. ocio, engl. leisure),

7)
Kreativität (span. creación, engl. creation),

8)
Identität (span. identidad, engl. identity),

9)
Freiheit (span. libertad, engl. freedom).

Max-Neef vermutet, dass die Grundbedürfnisse im Takt mit der Evolution des Menschen entstanden seien (so seien ‚Identität‘ und ‚Freiheit‘ vermutlich jünger als die übrigen,
während ein zehntes, Transzendenz, vielleicht erst in Zukunft so universell sein werde).
Bedürfnisbefriedigung ist nach Max-Neef ein dynamischer Prozess, charakterisiert durch Gleichzeitigkeit, Komplementarität und Kompensation (Trade-off), und findet auf unterschiedlichen Niveaus und mit unterschiedlicher Intensität statt sowie in dreifachem Kontext:

• in Beziehung mit sich selbst (Eigenwelt)

• in Beziehung mit der sozialen Gruppe (Mitwelt)

• in Beziehung mit der Umwelt.

Max-Neef hält es für unerlässlich, Bedürfnisse von Befriedigern zu unterscheiden.

...

Auch die von Max-Neef vorgeschlagenen Bedürfnisse lassen sich natürlich wie die zuvor beschriebenen emotionalen Themen in letzter Konsequenz auf das duale Spannungsfeld unseres Daseins reduzieren: Angst und das menschliche Streben nach Entgrenzung.

Max-Neef nennt Transzendenz als mögliches, zehntes Bedürfnis.
Das Streben nach Transzendenz ist jedoch der innerste Kern und Motor aller von ihm beschriebenen Bedürfnisse.

Ist ein Mensch in seinem Streben nach Entgrenzung erfolgreich, erreicht er Transzendenz.
Transzendenz ist nichts weiter als eine erfolgreiche Grenzüberschreitung.

Dies wird in der Dramaturgie gemeinhin als Katharsis beschrieben, die größtmögliche Verbindung zwischen Werk und Zuschauer.
Im Kino ist es niemals das Bild alleine, das den Zuschauer wirklich berührt.
Es ist immer die Emotion, die Verbindung und Berührung, die erzählerische „Katharsis“ ermöglicht.
Berührung entsteht durch Wert, Wert entsteht durch Bedeutung, um Bedeutung erzielen zu können, muss der Kreative / Künstler / Macher einen starken Köder wählen.


1)
Subsistenz (span. subsistencia, engl. subsistence):

Loslösung / Überwindung einer persönlichen / wirtschaftlichen / gesellschaftlichen / sozialen etc. Abhängigkeit, die zuvor die Selbständigkeit / Unabhängigkeit BEGRENZT


2)
Schutz (span. protección, engl. protection):

Ein übertriebenes Streben nach Sicherheit ist primär ein Angstsymptom; das Erlangen einer (Grund)Sicherheit (auch Geborgenheit) schafft jedoch beim Eintreten ebenfalls Entgrenzung - Loslösung von einem limitierenden Angstfaktor, einer Isolation oder einer weltlichen / gesellschaftlichen Begrenzung etc.


3)-5)
Zuwendung (span. afecto, engl. affection)
Verständnis [Verstehen, sich entwickeln] (span. entendimiento, engl. understanding)
Partizipation (span. participación, engl. participation)

Zuwendung, Verständnis und Partizipation - in den verschiedenen Ausprägungsformen - z.B. psychologisch oder körperlich - sind stets ein zwischenmenschlicher Akt des Entgrenzungsstrebens - im Erfolgsfall wird die zuvor beschriebene, existentielle menschliche Isolation überwunden.


6)
Muße [Entspannung, Spiel] (span. ocio, engl. leisure)

Muße mit dem Ziel tiefer Entspannung ist - wie schon im Appendix von #1 Leben & Dramaturgie 1 unter dem Stichwort "Faulheit" beschrieben - ein spiritueller, den Alltag entgrenzender Akt.


7)
Kreativität (span. creación, engl. creation)

Kreativität wird in oberem Artikel (Projektkern 2) untersucht, auch hier geht es im Kern um menschliches Bedeutungsstreben und das Erreichen von anderen Menschen (Kommunikation), beides Akte des Ausdrucks unseres Entgrenzungsstrebens. Im besten Fall ermöglicht Kreativität während des Schaffens (Flow) und schließlich auch bei den Rezipienten (Berührung) Transzendenz.


8)
Identität (span. identidad, engl. identity),
Identität ist im Wesenskern in letzter Konsequenz immer eine Zugehörigkeitsfrage und die Suche danach befindet sich somit ebenfalls absolut im elementaren menschlichen Spannungsfeld.


9)
Freiheit (span. libertad, engl. freedom).

Der Kausalzusammenhang zwischen Freiheit und dem menschlichen Streben nach Entgrenzung wird weiter oben beschrieben (Thelma & Louise). Auch hier geht es letztendlich um Transzendenz.

Jedes menschliche Bedürfnis drückt unser existentielles Streben nach Entgrenzung aus und

- Entgrenzung ist Transzendenz,

- erlebte Transzendenz ist Katharsis (für den Rezipienten und im wahren Leben),

- Katharsis ist das Resultat beharrlicher emotionaler Kernfindung und der anschießenden Storyentwicklung,

- der Kern selber ist in jeder Erzählung und jedem Berührungsakt die Schnittmenge zwischen Rezipient und Schöpfer.




Weder Neugier (Plot, "das Unbekannte") allein, noch Emotion allein (Kern etc.) können zu einer tiefen Berührung und somit zu Katharsis führen.

Nur in Kombination funktionieren diese beiden Elemente -

- Ratio und

- Herz / Seele - die in jedem von uns stecken -

und nach deren Einheit wir uns sehnen.


Diese beiden Elemente formen gemeinsam die Story, es ist wie mit dem Yin und Yang.

Eine gute Story verfügt im Prinzip über die DNA des Lebens, jedoch in einer stark komprimierten Form.


Max Neef / Transzendenz © 2014 Janosch Orlowsky. Nachdruck und / oder Verbreitung nur mit schriftlicher Genehmigung.