#K1b: RIDLEY SCOTT'S THE COUNSELOR - SCHEITERN EINES AMBITIONIERTEN STOFFES (Bonus)

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© FOX
SCOTTS ACHILLESFERSEN
Ridley Scott ist als Regisseur handwerklich vollkommen, macht aber nur mit überragenden Drehbüchern auch überragende und berührende Filme.

Wenn man ihm zwei Dinge vorwerfen kann ist es

a)
eine mangelnde klare Haltung und

b)
das Ignorieren des Zusammenhanges von Bedeutung und Wert (späteres Kapitel Interesse und Ertrag).

Wie zuvor erwähnt, gibt es beispielsweise 3 Enden von Blade Runner, was an einer mangelnden Positionierung vor der Produktion liegt.

Das Ende von Matchstick Men (Tricks) wurde nachgedreht, auch bei Alien war Ridely Scott zunächst unklar, wie er den Film enden lassen sollte. Er erfand dann aber praktisch aus dieser Not das seitdem immer wiederkehrende Horrorfilm-Ende, wo der Bösewicht oder das Monster noch einmal zurück kommt.

Black Hawk Down ist nach Scotts eigenen Angaben vollkommen haltungsfrei, weil er das Phänomen Krieg und die Menschen (Soldaten), die Krieg führen, einfach nur möglichst intensiv und realistisch darstellen wollte.

In The Counselor, wie auch in Prometheus, offenbart sich Scotts mangelnde Bereitschaft, sich intensiv genug mit Interesse auseinanderzusetzen.

Scotts emotional stärkste Filme sind Gladiator und Thelma & Louise, wo es klare Haltungen und Geschichten gibt, die Figuren intensiv mit all ihren Stärken, Schwächen, Problemen und Träumen erzählt werden. Dies sorgt unmittelbar für Bedeutung.

Nur Bedeutung schafft (emotionalen) Wert für den Zuschauer.

Das Ende von Prometheus beispielsweise ist seltsam distanziert und steril, der Konflikt ist unklar, weil die Erde eine abstrakte Idee bleibt.
Dass das Raumschiff das Alien-Raumfahrzeug rammt, um die Welt zu retten, ist eine feine, archetypische Idee - aber gibt es auf der Erde überhaupt noch Leben, welches Leben ist so beschützenswert?

Der Zuschauer sieht die aktuelle Erde in Prometheus nie, daher hat sie keine Bedeutung und schon gar keinen emotionalen Wert.

Da Prometheus (philosophisches Drama mit offenem Ende) im Gegensatz zu Alien (Horrorfilm) ein komplett anderes Genre bedient, greifen andere Gesetze; der Überlebenskampf der Protagonisten ist in Prometheus nicht der Kern der Geschichte, sondern die Suche nach existenziellen Antworten über unsere Herkunft.

Für das Prometheus-Ende wurde versäumt, an der einen oder anderen Stelle Bedeutung für den Zuschauer zu schaffen, wie beispielsweise in Danny Boyles Sunshine, wo eine Raumschiff-Besatzung die Sonne wieder zum Strahlen bringen muss, um die Erde zu retten.
In Sunshine jedoch gibt es immer wieder Kommunikation zwischen Erde und Protagonisten, auch gibt es ein starkes emotionales Fundament, das bereits am Anfang des Filmes etabliert wird.
Sunshine war kein übermäßig erfolgreicher Film, funktioniert für mich aber deutlich besser als Prometheus.

In Prometheus fehlt schlicht die Bedeutung des blauen Planeten, weswegen das Ende nicht berührt.
Der Film bleibt eine intellektuelle, eher kühle Sci-Fi-Sinnsuche, die die Fragestellungen an Kernstellen der Handlung verbal verhandelt.
Daran krankt der Film leider.

In The Counselor gibt Ridley Scott respektive Cormac McCarthy (der Autor) schlicht und ergreifend den Motiven der Hauptfigur (Michael Fassbender) keine Bedeutung im filmischen Sinne.

Der Counselor (Michael Fassender) lässt sich auf ein kriminelles Geschäft mit der mexikanischen Drogenmafia ein, um zu enormem Reichtum zu kommen und damit seine Freundin und spätere Verlobte Laura (Penelope Cruz) zu beeindrucken. Vermittelt wird der scheiternde Drogendeal vom zwielichtigen Reiner (Javier Bardem), einem Klienten des Counselors und dem Gangster Westray (Brad Pitt). Im Hintergrund zieht Reiners Freundin Malkina (Cameron Diaz) alle Fäden. Als das Geschäft scheitert, wird der Counselor dafür verantwortlich gemacht und Laura getötet.

Es bleibt unklar, was der Spine und somit der Antrieb des Counselors ist.

Warum muss er sich so beweisen?

Welche Bedeutung hat die Beziehung zu Laura (Cruz)?

Hätten Scott und McCarthy nur eine wenig mehr Zeit und Routine in die Beziehung des Counselors mit seiner Verlobten investiert, wären die Zuschauer bereitwillig mitgegangen. Die Beziehung hätte plastisch und wahrhaftig gestaltet werden müssen, um den Betrachter mitzunehmen - selbst mit möglichen Konflikten, großen Differenzen und Problemen - aber ohne diese Zuschauerbrücke bleibt die ganze Beziehung zwischen den beiden behauptet und nicht nachvollziehbar, flach.

Entweder hätte der Counselor dabei deutlich seinen Minderwertigkeitskomplex ZEIGEN müssen - er ist nie mit sich oder mit dem, was er hat zufrieden - ständig muss er sich beweisen und sich Anerkennung und selbst Lauras Liebe erkaufen, ein klare Folge einer ausgeprägten Verlustangst.

Oder aber Laura hätte deutlich fordernder sein müssen. So bleibt die fantastische Schauspielerin Penelope Cruz vollkommen hinter ihren Möglichkeiten, ihre Figur ist ein hübsch anzusehendes, etwas naiv wirkendes Abziehbild einer unselbständigen, idealisierten Frauenfigur.

Stattdessen wird der Counselor in prätentiösen, komplizierten Monologen charakterisiert, sein Handeln von dem zwielichtigen Klienten Reiner (Bardem) und dem Gangster Westray (Pitt) kommentiert und bewertet, aber Fassender bekommt nie wirklich die Möglichkeit zu zeigen, was sein Problem ist.

Fassbender spielt wunderbar verschiedene Nuancen von innerem Druck und Zerrissenheit, aber wir kennen die Ursache oder die Bedeutung nicht.

Auch hier, wie zuvor in Prometheus, bleibt der Haupttwist abstrakt, da für den Zuschauer gefühlsmäßig nicht nachvollziehbar.

Cormack McCarthy mag als Schriftsteller grandios sein, jedoch fehlt ihm bislang das Rüstzeug für gute, intensive Drehbücher.

Ein innerer Konflikt in einem filmischen Werk muss immer externalisiert werden.
Dies geschieht durch Handlung, Aktion und Reaktion.
Film ist Aktion.
ROCHADE
Stellen wir uns einmal vor, Ridley Scott hätte mehr Einfluss auf das Buch genommen und die vier Hauptdarsteller jeweils anders herum besetzt:

Der etwas korpulentere, behäbigere Javier Bardem als Counselor, der im Laufe der Handlung immer stärker seine Contenance und jegliche Sicherheiten des Lebens verliert. Es wäre toll gewesen, Bardem mal wieder in einer verletzlichen, gebrochenen Rolle zu sehen.

Die fordernde, zickige, luxussüchtige Laura, die Verlobte des Counselors, mit Cameron Diaz besetzen - eine Sexbombe, die den Counselor körperlich abhängig macht und sich dafür sehr gut aushalten lässt. Viel glaubwürdiger und intensiver.
Sofort wäre der existentielle und berührende Konflikt da gewesen, Beziehung und Twist des Counselors wären glaubwürdig gewesen.

Michael Fassender hingegen in der Rolle des zwielichtigen, aber unterkühlten Geschäftsmannes Reiner, der dem Counselor das fatale Geschäft vorschlägt. Fassender wirkt sehr kühl und glatt, kann aber auch in seinen Augen eine starke Wärme und Vertrauenswürdigkeit zeigen, was ich gerne von diesem Ausnahmetalent öfter sehen würde.

Und letztendlich Penelope Cruz als hübsche, naiv wirkende Malkina, Reiners Freundin, die sich bescheiden gibt und naiv zeigt, aber in Wirklichkeit eine eiskalte Seele hat und alle Fäden in der Hand hält. Wäre auch einmal sehr spannend für die sonst eher liebliche Penelope Cruz.
Dies hätte wunderbare Figurenbrüche und Fallhöhen ermöglicht.

Hätte Scott sich an Alien entsinnt, wo er aus Ripley, der ursprünglich als Männerfigur angelegt war und aus dem er eine Frau (Sigourney Weaver) machte, an das Prinzip der Umkehrung, was manchmal (nicht immer, aber gelegentlich) in kreativen Prozessen hilft, wäre er vielleicht auf diese Lösung gekommen.*

Was für ein großer, meisterhafter Film hätte The Counselor werden können.

So bleibt dieser Film letzten Endes jedoch ein exquisit anzuschauendes, etwas zu schrilles, buntes Panoptikum einer Idee über Gier, berührt jedoch nicht.

In den USA spielte The Counselor lediglich knapp 17 Mio. Dollar ein.



The Counselor - Scheitern eines ambitionierten Stoffes ©2014 Janosch Orlowsky. Nachdruck und / oder Verbreitung nur mit schriftlicher Genehmigung.
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*APPENDIX:

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Nach dem Zufallsprinzip wählt man eine Karte, die kreative Ratschläge gibt, z.B. alles auf den Kopf zu stellen oder Dinge von einem veränderten Standpunkt zu betrachten.

Als ich mit einem Kölner Autor an einer Serienidee arbeitete (Danke, Thilo!), setzten wir diese Karten mehrmals ein, was zu überraschenden Wendungen und sehr originellen Ideen führte.

Das Prinzip des Zufalls funktioniert nicht immer, allerdings sind die naheliegenden Ideen für kreative Probleme niemals die besten.

Das Naheliegende im Kreativen zu wählen, bedeutet Verlust von Originalität, Spannung und Überraschung.