#1: LEBEN UND DRAMATURGIE (1)

MUSTER UNSERES LEBENS

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Foto © 2013 Janosch Orlowsky
DAS BEHERRSCHENDE MUSTER UNSERES LEBENS
Im Laufe der Zeit stellte ich mir immer wieder die Frage, wie erfolgreiche Filme funktionieren. Ich begann, Werke mit "proven success" genauer zu untersuchen und glich meine Erkenntnisse mit persönlichen Lebens- und Berufserfahrungen ab.

Nach und nach stieß ich auf fast mathematische Muster - Muster bei denen es stets um metaphysische, spirituelle Qualitäten geht, die eigentlich nicht quantifizierbar sind, aber dennoch die Essenz unseres Lebens ausmachen.

Unser gesamtes Leben findet in einem Spannungsfeld zwischen zwei Kräften statt:

unserem Streben nach Entgrenzung und unserer Angst.


Alles was wir denken und tun - oder auch nicht tun - wird von diesen beiden Kräften an den äußeren Enden des Spektrums bestimmt.

Dieses Prinzip des Lebens findet sich in der Dramaturgie wieder, genau wie in allen Künsten, allen Geschäftsfeldern, allen Arbeits- und Lebensbereichen.

Jede existentielle Spannung, jeder innere oder äußere Konflikt, der Ursprung jedes Wunsches, jeder Sehnsucht oder jedes menschlichen Verlangens liegt im Spannungsfeld zwischen diesen beiden äußeren Polen.

Jedes Ding, das eine Bedeutung für einen Menschen hat, ist dual mit diesen Kräften aufgeladen.

Dieses Prinzip ist für meinen Begriff das Prinzip von Bedeutung - im Bewussten, wie im Un(ter)bewussten.

In diesem Spannungsfeld entstehen menschliche Emotionen.

Diese Spannung ist alleiniger Motor und gleichzeitig Erklärung jedes menschlichen Konflikts und somit elementares Rüstzeug für jeden Dramaturgen, Autoren, Künstler, Kreativen, jeden erfolgreichen Verkäufer und für jeden Menschen, der bereit ist, sich stets immer wieder zu hinterfragen, sich selber kennenzulernen und weiterzuentwickeln.

In der exakten Mitte des Spielfelds unseres Lebens liegt die Gleichgültigkeit.
Gleichgültigkeit kennt keine Bedeutung, hat aber wiederum auch ihre Ursachen.
ANGST UND DAS STREBEN NACH ENTGRENZUNG
Sowohl Angst, als auch das Streben nach Entgrenzung kann vielfältige Ausprägungen haben.

Jedes Individuum, jede Familie, jede menschliche Gemeinschaft, jede Firma, jedes Unternehmen, jeder Staat, ist an Grenzen und Regeln gebunden.
Gemeinschaft und Zugehörigkeit geben uns Sicherheit, aber je starrer und komplizierter die Regeln, desto weniger offen, unproduktiver und weniger kreativ wird das Individuum letzten Endes.

Kluge Lenker und Führungskräfte wissen dies, glücklicherweise lebe ich in einem relativ freien Land, in dem es überdurchschnittliche Möglichkeiten der persönlichen Entfaltung gibt.

Nur sehr wenige Menschen, die vollkommen in sich ruhen, können sich geistig auch unter extremen Reglementierungen, Beschränkungen und Unfreiheit völlig frei entwickeln.
Karl May, der im Gefängnis beachtenswerte Literatur erschuf, mag so ein beneidenswerter Zeitgenosse gewesen sein.

Albert Einstein sagte:
"Vorstellungskraft ist wichtiger als Wissen. Wissen ist begrenzt. Vorstellungskraft umschliesst die gesamte Welt."

In der Dramaturgie gilt: je heftiger die Grenzen, Zwänge und Pflichten des Protagonisten, desto heftiger die Läuterung, wenn der Protagonist auf einmal seine inneren und / oder äußeren Grenzen niederreißt.

Dies wird gerne als Fallhöhe bezeichnet und ist im echten Leben Grund für gemeinsame Firmenurlaube oder Events, Privaturlaube und jegliche rauschende Entgrenzung.

Jedes Gläschen Wein oder jedes Feierabendbier, jede Zigarette, jeder Tanz, jedes Gespräch stellt einen kleinen Entgrenzungsakt dar.

Angst hat viele Gesichter: systemische Angst, Angst vor freien Gefühlen, Angst vor Zurückweisung, Verlustangst, Todesangst...

Aber auch Entgrenzung kann sich auf vielfältige Weise manifestieren: Gegenwärtigkeit / Bewusstsein, absolute Freiheit, Rausch, Exzess, Sex, intensive zwischenmenschliche Kommunikation, Freundschaft, Liebe…

Die Beispiele für Angst und das menschliche Streben und Sehnen nach Entgrenzung sind so vielfältig wie das Leben selbst.

Auch der Tod stellt eine ultimative Entgrenzung dar.

Er ist, wie alles im Leben mit Bedeutung, dual mit den beiden Qualitäten „Angst“ und „Entgrenzung“ aufgeladen:
Zum Einen beendet er die physische Existenz, was bei vielen Menschen eine große Furcht auslöst.
Zum Anderen gibt er ein spirituelles Versprechen der Erlösung, was sich fast alle Religionen zunutze machen; der Tod ist das Fundament jedes Erlösungsplots.

Jede menschliche Sehnsucht zielt im Kern nach einer spirituellen, nach einer metaphysischen Entgrenzung.

Dies zu verstehen, bedeutet das Grundprinzip von Unterhaltung, aber auch von Kunst zu verstehen.

In unserer Phantasie, in unseren Träumen, können wir ohne Grenzen sein - Entgrenzung bedeutet für mich "aus sich heraus treten", ein vorübergehendes Überschreiten unserer körperlichen, geistigen oder gesellschaftlichen Grenzen.

Das Überwinden oder zumindest kurze Hinter-sich-Lassen von Arbeitsleben, Pflichten, starren Regeln und Gesetzen, eine Überwindung der Macht des Alltages, innerer Schranken.

Ein angestrebtes Objekt, zum Beispiel Geld, etwas Materielles, oder auch ein anderer Mensch, kann uns im besten Falle helfen, uns zu entgrenzen.
Strebt der Mensch nur noch nach dem Objekt der Begierde selber, ohne den tieferen Sinn dahinter fühlen zu können, wird er krank, da er den wahren Wert der Sache verkennt oder vergessen hat.
Die angestrebte Sache / das Objekt wird ihn später zerstören oder zumindest irgendwann sehr unglücklich machen.

Gleich am Anfang von James Camerons Avatar wird der verkrüppelte Marine Jack Sully vom gnadenlosen Colonel Quaritch in einer Sicherheitsunterweisung in die harten Regeln des Planeten Pandora eingewiesen. Sofort wird ein sehr klares Angst-Szenario für den Protagonisten geschürt, die Grenzen dieser scheinbar freien, fantastischen Welt werden deutlich aufgezeigt, aufgeladen mit tödlichen Bedrohungsszenarien, Gefahr und unmittelbar damit gerechtfertigten Verhaltensregeln.
Dem Zuschauer wird sofort und unmissverständlich gesagt: der fremde und vermeintlich feindselige Planet Pandora ist nichts weiter als Deine Welt, Dein Alltag - voller Einschränkungen und Gefahren, der Tod wartet - fürchte Dich und befolge unsere Regeln, die Pandora-Regeln!

Die existentielle Grundspannung des Alltags transportiert sich in das Medium und schafft signifikante Bedeutung durch Wahrhaftigkeit des späteren Konflikts, in dem sich Jack Sully immer mehr von den Regeln und der Zerstörungswut der Menschen lossagt, dabei sogar körperliche und physikalische Grenzen überwindet. Avatar ist eine spirituelle Erweckungsreise, genau wie Camerons voriges Opus Magnum Titanic.
ALLTAG
In den meisten Fällen kennt jeder existentielle Grenzen - alltägliche Routinen, Verpflichtungen, Regeln, Druck, körperliche Grenzen, monetäre Grenzen, innere Barrieren, Angst vor dem Tod, vor Krankheit, Angst vor der Bedeutungslosigkeit, Gefühle von Isolation, um nur wieder einige Beispiele zu nennen.

Diese Dinge lassen viele Menschen Angstentscheidungen treffen und unbewusst beginnen wir, uns selber zu reglementieren, zu zensieren, einzuschränken und so manchem System blind zu folgen, was eigentlich paradox ist.

Der Mensch ist jedoch ein Gewohnheitstier - alle Menschen sehnen sich nach Sicherheit und Zugehörigkeit, im Berufsleben strebt die Mehrzahl fast ausschließlich nach Sicherheit.

Selbstverwirklichung oder die Realisierung außergewöhnlicher Ideen unterliegen stets dem Diktat der als "Realitäten" zementierten Regeln; Risikoabwägungen im finanziellen und ideologischen Sinn, hinzu kommen kollegiale Grabenkämpfe, Konflikte zwischen verschiedenen Parteien, jeder muss zuerst seine Schäfchen ins Trockene bringen, wobei es immer erst um Sicherheit, dann um Innovation geht.

Wahre Innovation oder Kreativität bleibt dabei oftmals auf der Strecke, was in der Natur der Sache liegt.

Wegen dieser Systemik nehmen wir oftmals massive Einschränkungen in unserem praktischen Alltag und in unserem Gefühlsleben in Kauf.

In der Regel zeigt sich diese Angst als erstes in Form von Unbewusstsein.

Die meisten Menschen sind nicht gegenwärtig, ständig kreisen die Gedanken um Künftiges oder Vergangenes; wir lösen permanent Probleme in unseren Köpfen, drehen uns um uns selbst - um Fragen unserer Sicherheit.

Die Politik erkennt dies in den letzten Jahren (unbewusst) immer deutlicher und nutzt diese menschliche Dynamik, um uns komplett "abzusichern" - mithilfe von State-of-the-Art Überwachungstechnologien, die in Kürze jeden Lebensbereich und jeden Freiraum erfasst haben werden.

Die Freiräume in unserer Welt werden jeden Tag stärker reglementiert, beschnitten und zerstört, was wir gerne in Kauf nehmen - denn wir wollen uns ja sicher fühlen - die Rate fürs Haus oder die Miete muss gezahlt werden, das Auto abbezahlt, der Kühlschrank gefüllt werden.
Für unser Wohlbefinden begnügen wir uns mit digitalen Spielzeugen, die uns zwar in Echtzeit scheinbar mit der Welt verbinden, dabei aber im selben Maß jeden unserer Schritte und Gedanken überwachen.

Umso stärker streben wir bewusst oder unbewusst jedoch ständig nach Bewusstsein - nach Entgrenzung.

Wenn wir feiern, trinken, Sport machen, musizieren, Sex haben, wenn wir etwas schaffen oder schöpfen, wenn wir lieben und uns anderweitig vollkommen hingeben.

Nur wenige haben die alltäglichen Systeme von Angst, Einschüchterung, Bevormundung, künstlichen Pflichten und Zwängen, betäubender Routine, Ersatzbefriedigungen und Surrogaten durchschaut.

Noch weniger Menschen haben diese Erkenntnis verinnerlicht und handeln dementsprechend nach einem maximal möglichen Freiheitsprinzip, das jedoch auch eine gesunde Verantwortung gegenüber Mitmenschen kennen muss.

Die eigentliche systemische Verantwortungsfrage von Filmemachern und Medienschaffenden sowie allen Künstlern und Kreativen, die ein breites Publikum erreichen, stellt sich in dem römischen Zitat Panem et circensis (Brot und Spiele).

Grundsätzlich steht fest, dass funktionierende Filme und erfolgreiches Entertainment, genau wie andere Künste, Metaphysik pur sein müssen, dem Entgrenzungsprinzip folgen müssen.

Erfolgsfall bedeutet nicht unbedingt monetärer Erfolg, sondern vor allem ein Akt der Berührung - das Durchbrechen des Mediums und das Erreichen der Zuschauer, Leser, Zuhörer, Betrachter, Rezipienten.

Großartige Kunst und wertvolles Entertainment schafft Entgrenzungsmomente, die uns im besten Fall zum Nachdenken und Verstehen unserer Selbst und der Welt anregen.

Schlechte Kunst und oberflächliches Entertainment dient Propagandazwecken, oder betäubt uns durch die Reduktion auf Formalismus oder Eskapismus.

Auch Eskapismus oder Banalität in Kunst und Entertainment ist eine Form von Propaganda, weil der Rezipient weder tiefere Wahrheiten, noch Erkenntnisse über sich selbst, das Leben oder die Welt erfährt.

Selbst in seiner Freizeit folgt er (oder sie) nur noch einem bequemen Sicherheitsprinzip, was nichts anderes als eine Kapitulation vor den Sicherheitssystemen des Alltages ist.
FLOW UND ABNUTZUNG
Viele Künstler, Kreative oder auch Sportler kennen den Bewusstseinszustand, in dem sie sich in einer Art Tunnel befinden und absolut gegenwärtig handeln - sich in einer Art „Flow“ befinden.

„Flow“ oder Gegenwärtigkeit bedeutet nichts anderes, als sich vollkommen dem Augenblick hinzugeben, beispielsweise in einer Tätigkeit.
Gegenwärtigkeit erlaubt uns, endlose Gedankenschleifen vollkommen zu durchtrennen und Ängste - für die Phase der Hingabe - loszulassen.
„Bewusste“ oder auch „erleuchtete“ Menschen können diesen Zustand über längere Phasen, manchmal sogar dauerhaft aufrecht erhalten. Dies gelingt den Wenigsten.

Manche Menschen meditieren deswegen, gehen monotonen Tätigkeiten nach oder berauschen sich auf exzessive Weise.

Nur um für kurze Zeit gegenwärtig zu sein, machen einige Menschen die verrücktesten Dinge.

Sie treiben einen Sportwagen mit 320 über die Autobahn, sie springen von Klippen, surfen auf Todeswellen, ritzen sich in ihre Arme oder versuchen, sich das Leben zu nehmen.

Das Hochrisiko, die Nähe zum Tod, erlaubt ihnen absolutes Bewusstsein, einen kurzen Kick, um sich lebendig zu fühlen, für einen Moment die begrenzte Existenz unseres Lebens zu verlassen und das Alltagsgefängnis aus Angst und Regeln für einen Augenblick komplett loszulassen.

Dieser Effekt dauert jedoch nur kurzzeitig an und führt schnell zu oberflächlichen Abhängigkeiten, die nach und nach von dem Handelnden Besitz ergreifen.

Sehr schnell entwickeln sich ungesunde Handlungsmuster, die sich im Charakter der Person verankern. Der Wunsch nach Entgrenzung und Bewusstsein im Sinne von Gegenwärtigkeit ist die Ursache jeder Sucht und gleichzeitig jeder psychischen Erkrankung, wenn der Handelnde nur den kurz andauernden Kick sucht, ohne im Kern fühlen zu können, was ihn antreibt.

Hier greift sehr rasch das Gesetz der abnehmenden Wiederkehr - eine Sache entfaltet nur beim ersten Erleben ihren vollen Effekt, danach bedarf es einer stetigen Erhöhung der Dosis.

Das so genannte Ertragsgesetz ist eigentlich ein Wirtschaftsgesetz, das jedoch in allen Lebensbereichen und insbesondere in der Dramaturgie vollumfänglich seine Gesetzmäßigkeit entfaltet und sehr feine Definitions- und Verständnismöglichkeiten für menschliches Interesse ermöglicht (Späterer Artikel #4 INTERESSE UND ERTRAG.)

Betrachtet man beispielsweise einen Süchtigen - geht es anfangs noch um Lustgewinn, wird daraus schnell eine sinnentleerte Zwangshandlung, die rasch in einem Teufelskreis aus oberflächlicher Abhängigkeit und Affekt endet. Martin Scorseses Wolf of Wall Street (2013) zeigt auf beeindruckende Weise, wohin eine hemmungslose Entgrenzung ohne Bewusstsein führt.

Es gibt das Perpetuum Mobile - nicht in der Welt der Physik, jedoch in der metaphysischen Welt: in der menschlichen Seele. Jedes innere Gefängnis, jeder Teufelskreis, nährt sich ab einem gewissen Punkt von sich selber und kreist im schlimmsten Fall unendlich um sich selbst.

Das spirituelle Erleben verliert mit jedem Mal an seinem Wirkungsgrad und verkehrt sich nach einiger Zeit sogar in sein Gegenteil.

Dies gilt für jeglichen Konsum, der über ein für die betreffende Person erträgliches Maß hinaus geht.

Was das individuelle menschliche Maß oder auch Empfinden ist, variiert sehr stark.

Gute Dramaturgie fußt auf einer tiefen Menschenkenntnis, die die größtmögliche Schnittmenge aus dem Spektrum des menschlichen Lebens kennt und dieses Wissen effektiv in packende Geschichten und Projekte umzusetzen vermag.

Manchmal gelingt dies instinktiv, was jedoch selten reproduzierbar ist.
Ein typisches Beispiel hierfür sind „One-Hit-Wonder“ - in der Musik, in der Literatur, beim Film.

Die Frage der Systemik und der Reproduzierbarkeit von guten, funktionierenden Filmprinzipien ist einer der Hauptgründe meiner persönlichen Auseinandersetzung mit diesem Thema.

Funktionierende, starke Dramaturgie kennt die größtmögliche Schnittmenge menschlichen Empfindens und kombiniert sie mit wahrhaftigen Prinzipien des Lebens, weil sie die äußeren Enden des Spektrums und die Gesetzmäßigkeiten unseres Daseins kennt.

Es ist kein Zufall, dass James Cameron gleich zweimal den "erfolgreichsten Film aller Zeiten" machte - erst Titanic, dann Avatar.

Google forscht seit Jahren an der ultimativen künstlichen Intelligenz, viele Tec-Unternehmen und staatliche Behörden wollen menschliches Verhalten prognostizierbar machen.
Konzerne, um Produkte zu verkaufen und Profit zu mehren, staatliche Institutionen zu Zwecken der Kontrolle.

Menschliches Verhalten ist aber keine rein rationale Sache. Die machtvolleren und effektiveren - scheinbar unkalkulierbaren - Impulse erhält jeder noch nicht völlig abgestumpfte oder innerlich zerstörte Mensch von einer metaphysischen, aber sehr klaren Kraft: seinem Streben nach Entgrenzung.
DRAMATURGIE UND KERN
Das Grundprinzip von Angst und Entgrenzung findet sich in fast allen erfolgreichen oder herausragenden Spielfilmen, TV- und Medienprojekten und auch sonstigen Erfolgsfällen, bei denen es eine große Gruppe von Rezipienten gibt.

Ein detaillierte Falluntersuchung vorgefundener Muster gibt es in den späteren Artikeln AVATAR UND TITANIC.
Bei diesen beiden sehr erfolgreichen Filmen von James Cameron lassen sich mathematisch fast identische, metaphysische / spirituelle Muster aufdecken, die das Rückgrat ihres Boxoffice-Erfolges ausmachen, da sie meisterhaft mit den Sehnsüchten und dem Wunsch nach Entgrenzung der Zuschauer spielen.

Hier geht es zunächst um das grundsätzliche Entdecken von metaphysischen Mustern in Filmen, die sich stets in Grenzüberschreitungen offenbaren.

Im Kino sind die größten Filme immer um einem minimalen, jedoch sehr effektiven, da allgemeingültigen Geschichtsnukleus herum aufgebaut.

Es geht dabei IMMER um Angst und Entgrenzung, diese beiden Pole bilden das Spannungsfeld für jegliche Dramaturgie.

Dramaturgie ist eine Wissenschaft, vielleicht sogar die komplexeste, da sie das Menschsein nicht nur entschlüsselt, sondern die Erkenntnisse auch auf eine zutiefst bewegende Weise anwenden muss.
Alle Wissenschaften und menschliche Bemühungen streben nach einer höheren Erkenntnis und Dramaturgie ist nichts weiter als komprimiertes Leben.

Dramaturgie besteht aus zahlreichen Komponenten:

- Spannungsfeld zwischen ANGST und ENTGRENZUNG
- Empathie
- Lebenserfahrung (Authentizität und Haltung)
- wahrhaftigem Sachverhalt (Introspektion)
- Handwerk
- Phantasie / Vorstellungskraft
- Schöpfungskraft und -Disziplin
- Soziologie
- Philosophie
- Psychologie
- Physik
- Mathematik
- Biologie
- Religion / Glaube / Überzeugung (im weitesten Sinne)


Viele Filmemacher und Autoren haben extreme Schwierigkeiten, ihren innersten Geschichtskern zu finden, weswegen Filme oft verstümmelt werden oder Enden ausgetauscht werden.

Von Blade Runner beispielsweise gibt es drei verschiedene Filmenden, ich selber habe meinen Diplomfilm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin gedreht, ohne den Geschichtskern zu kennen, das Ergebnis war ein Fiasko.

Der mangelhafte oder fehlende Geschichtskern ist immer ein Resultat von Angst. Der Autor / Filmemacher / Künstler oder Kreative ist nicht bereit genug, sich tief genug mit seinen Ängsten auseinanderzusetzen.

Der Prozess der "Kernfindung" kann sehr langwierig und schmerzhaft sein, da er dem Handelnden tiefe Einblicke in sich selbst und somit Selbsterkenntnis abverlangt.

Nur wer dazu bereit ist, schafft eines oder mehrere Werke, Ereignisse oder Projekte von großer Bedeutung durch tiefe Berührung.

Steve Jobs sagte:
"Kreativität ist das Verbinden von Erlebtem aus der Vergangenheit. Kreative Menschen können Erfahrungen verbinden und daraus etwas Neues synthetisieren."

Ohne Introspektion keine tiefe Kreativität, kein Geschichts-, Werks-, oder Projektkern.
Ohne Kern kein zielgerichtetes Arbeiten.

Dies gilt ausnahmslos für alle Künstler und Kreative, die mehr als nur oberflächliche, eskapistische Werke schaffen wollen.


Leben und Dramaturgie, Teil I von II .
© 2014 Janosch Orlowsky. Nachdruck und / oder Verbreitung nur mit schriftlicher Genehmigung.
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APPENDIX:

Vor kurzem fragte mich ein Regisseur, mit dem ich etliche Wochen lang gemeinsam und in einem sehr intensiven Arbeitsprozess eine Doku-Reihe entwickelte, auf welche Seite des Spektrums "Faulheit" gehört.

Faulheit kann meiner Meinung nach zwei verschiedene Antriebe haben -

Eskapismus als eine Art von Arbeitsverweigerung, was aus Angst geschieht.
Aus Angst zu scheitern oder mit dem, was man tut, abgelehnt zu werden, oft spielen negative Erfahrungen eine gewichtige Rolle.

Die "chillige" Seite von Faulheit - also Faulheit der Entspannung wegen, zielt darauf ab, sich selber wiederzufinden, mit sich in Einklang zu kommen, sich zu erholen.

Dieser eigentlich nach innen gerichtete Prozess führt im besten Fall zu Bewusstsein - sich seines Körpers oder seiner Gefühle wieder bewusst zu werden, sich selber zu fühlen.

Sobald wir uns selber deutlich fühlen, fühlen wir auch alles um uns herum sehr deutlich - ein klares Streben nach Entgrenzung.

Faulheit ist - wie alles im Leben - dual aufgeladen.