#4: PROJEKTKERN (1)

DIE SUCHE NACH DEM KERN, AMBIVALENZ, EMOTIONALES ERZÄHLEN

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Foto ©2013 Janosch Orlowsky
Beherrschende Idee vs. emotionales Thema - an der Filmschule wurde uns lediglich das Konzept des emotionalen (Haupt) Themas für die Drehbuch- und Regiearbeit beigebracht. Dieses Konzept hilft bei der Stoff- oder Projektentwicklung, ist jedoch nur ein Teilaspekt, der oft zu Beliebigkeit, emotionaler Unklarheit oder falscher Sentimentalität führt. Das Konzept der beherrschenden Idee ergänzt dieses Konzept in der praktischen Herangehensweise.
Herausragende Film-, TV- und Medienprojekte basieren auf einem starken Erzählkern, einer beherrschenden Idee und sich steigernden Variationen von emotionalen Themen.
Der Projektkern ist unzertrennlich mit den Charakteren bzw. der Story verwoben.
ERZÄHLUNG VON INNEN
Immer wieder habe ich mich bei zahlreichen Projekten beim Erzählen nicht nur von außen genähert, sondern auch auf diese Weise erzählt. Sehr oft wurde ich auch zu Projekten hinzu geholt, in denen es bereits spannende Grundideen, Budgets, z.T. sogar Cast und Sets gab - aber keinen wirklichen Geschichtskern.

Das ist eine legitime Arbeitsweise, manche Kreative arbeiten so ihr Leben lang. Es hilft, sich derartig dem Projekt anzunähern, allerdings bleibt es dann oft bei Oberflächlichkeiten.

Viele Regisseure (und andere Künstler und Kreative) beschäftigen sich zunächst mit dem „Wie" anstelle des „Was".

Insbesondere in Werbung, TV und vielen anderen Unterhaltungsformen ist diese Methodik weit verbreitet; auch im Kino findet man immer wieder brillant fotografierte und spektakulär verpackte Arbeiten, die jedoch nur ein kurzes, zudem meist unoriginelles Fluchterlebnis (im Sinne von Eskapismus) bieten.
Viele Filmemacher (und andere Künstler) vertreten zudem die Ansicht, es sei bereits eh alles gemacht und erzählt worden, es ginge nur darum, es besser, spektakulärer, "neuer" oder größer zu machen.

Tatsächlich gibt es nur eine beschränkte Anzahl von Archeplots / Geschichten, die an unsere tiefsten Gefühle, Sehnsüchte und Antriebe appellieren.

Doch die wenigsten Künstler und Kreativen fragen sich, was ihre ureigenste Geschichte ist bzw. worüber sie wirklich eine ehrliche und wahrhaftige Geschichte erzählen können.

Sehr oft werden beispielsweise in Low-Budget oder Arthouse-Filmen tatsächlich Erlebtes oder Kolportagen oder bestimmte "Sachverhalte" fast 1:1 umgesetzt - mit dem Hinweis, dies sei ja tatsächlich oder ähnlich passiert und habe deswegen eine hohe persönliche / emotionale Aufladung.

Dies genügt jedoch in den wenigsten Fällen, um einen berührenden Film, ein tief bewegendes Unterhaltungsformat oder anderes Werk zu schaffen. Mit etwas Glück und viel Herzblut entsteht ein interessantes Genre-Stück, das auch irgendwie funktioniert, aber nicht die Tiefe hat, um den Test der Zeit zu bestehen.

Ganz selten entsteht ein instinktiv geschaffenes Meisterwerk, dies gelingt nur Künstlern und Kreativen, die absoluten Zugang zu ihrem Bewusstsein haben und zudem nicht instinktiv handeln, sondern aufgrund ihrer jahrelangen Erfahrung intuitiv Entscheidungen treffen können. Instinkt ist unerlässlich, aber ein Zufallsgenerator.

Am anderen Ende des Spektrums gibt es High Budget- / High Concept-Filme, die Momente oder auch nur hübsch anzuschauende, visuelle Einfälle oder Umsetzungen kopieren und wie auf einer Perlenkette Sensationen aneinanderreihen, verziert mit ein paar emotionalen Spoilern oder komplizierten, intellektuell verkünstelten Ideen.

Ein solches Werk vermag nicht, nachhaltig zu berühren oder zu fesseln, so dass man später gerne wieder zu dieser Arbeit zurückkehrt. Viele Werbe(filmmach)er neigen zudem dazu, Kreativität mit meisterhaftem Kopieren zu verwechseln.

Originalität entsteht nur aus Bewusstsein und ohne Seele bleibt jede künstlerische / kreative Arbeit ohne Tiefe, ohne wirkliches Berührungspotential.

Funktioniert die Geschichte bzw. ihr Kern nicht für einen Großteil der Menschen, denen man davon erzählt, ist man schlicht noch nicht zum Kern vorgedrungen.

Unbewußtsein ist die größte und beliebteste Ausrede für schlechte Geschichten, Filme und andere Arbeiten, die ambitioniert und vielleicht handwerklich bestechend umgesetzt sein mögen, den Rezipienten aber kalt lassen. Der „Vater“ oder die „Mutter“ des Werkes hat (noch) nicht herausgefunden, worum es ihm oder ihr geht - und den Archeplot und die globale Emotion des Kerns gefunden.

Meist aus Bequemlichkeit (mangelnde Introspektion), aus Unvermögen, Zugang zu den eigenen Gefühlen zu erlangen oder aus Angst vor Selbsterkenntnis - im schlimmsten Fall aus Zeitmangel.

Nur mit einem tiefen, wahrhaftigen Geschichtskern lassen sich Rezipienten berühren, nur mit dem Wissen um das "tiefste Geheimnis" der eigenen Geschichte lässt sich ernsthaft arbeiten.
Denn der Kern ermöglicht nicht nur die Aussage des Werkes / Projektes, sondern um ihn herum lässt sich die komplette Geschichte / Arbeit aufbauen.

Ein Projekt, das ohne Wissen um den Kern aufgebaut wird, ist im schlimmsten Fall ein wunderschönes Schloss, das auf Treibsand gebaut ist.

Wie also findet man den Kern seines künstlerischen oder kreativen Projektes?
KERNSUCHE
Manchmal entstehen Projekte aus persönlich Erlebtem, einer spontanen Inspiration oder einer Idee, die sich im Laufe der Zeit verfestigt.

Man hat vielleicht ein bestimmtes Bild im Kopf, eine bestimmte Vision von einer Situation, eine Momentaufnahme, oder ein noch unbestimmtes Gefühl.

Viele Künstler und Kreative laufen nun los und bauen um eine Oberfläche herum ein wunderschönes Schloss, dabei entstehen zweifelsfrei oftmals wunderbare Werke und Arbeiten.

Gerade bei filmischen Erzählformen und auch vielen anderen Künsten und Kommunikationsformen und -Arten, die eine Zeitkomponente haben, greifen jedoch nicht nur die Regeln von Bedeutung und Wert - es gibt unter allem noch eine viel stärkere Kraft, die unsichtbar, aber umso stärker fühlbar alles zusammenhält.

Es lohnt deswegen immer, eine kreative Initialzündung oder Idee auf ihren Kern hin zu untersuchen.

Warum ist MIR diese Idee so wichtig?
Was ist tatsächlich für ein URSPRÜNGLICHER Antrieb / Motor / Wunsch darin versteckt?

Ist es wirklich eine allgemein gültige Geschichte / Emotion / ein Gefühl, die / das ich im Kern zu erzählen habe?

Insbesondere letztere Frage sollte man mit „Ja“ beantworten können, da in JEDER Geschichte tief versteckt ein Archeplot und ein globaler, menschlicher Antrieb liegt, sonst würde die Idee einen selber nicht berühren.

Dafür muss man sich jedoch zunächst bewusst werden, welche emotionalen Mechanismen die extreme persönliche Aufladung ausmachen.

Was macht den Wert bzw. die Bedeutung (Aufladung) für die Schöpferin den Schöpfer des Werkes selber aus?

Wert und die emotionalen Aufladungsmechanismen sind jedoch NUR Oberflächen, die zunächst noch den Blick auf den Wesenskern verdecken.

Alle sichtbaren Dinge sind oft nur "Symptome". Das ganze Leben ist oftmals voller Floskeln, oberflächlicher Rituale und Versteckspiel - wann zeigen Menschen in unserer zivilisierten Welt schon einmal ihr wahres Gesicht? Alles ist Versteckspiel, nur im Rahmen von kollektiven Entgrenzungsritualen (Fußball-WM oder Stadionbesuch, Feste, gesellschaftlich akzeptierter Vollrausch in bestimmten Situationen etc.) - oder in sehr intimen Privatsituationen zeigen Menschen heute noch das, was sie wirklich wollen.

Auch (gutes) Schauspiel ist in den meisten Fällen vor allem exzellentes Versteckspiel.

Nur wenn man willens und imstande ist, all diese Oberflächen bei sich selber abzutragen, findet man das tiefe Gefühl, das im Kern des eigenen Empfindens steckt.

Und nur, wenn man diese Sorgfalt auf seine künstlerischen / kreativen Projekte anwendet, kann man auch hier den Kern der Geschichte / des Projektes / der Arbeit frei legen.

Seit einiger Zeit nutze ich bei eigenen und bei Auftragsprojekten eine verblüffend einfache Methode, um den Geschichtskern zu finden.

Ich zeichne einen großen Kreis auf ein leeres Blatt Papier.

An / auf diesen äußersten Kreis schreibe ich die Ausgangsidee (manchmal kann das auch eine Aufgabenstellung sein, beispielsweise bei Auftragsarbeiten).

Insbesondere bei fiktionalen Arbeiten hilft es, die äußeren Fakten über seine Hauptfigur bereits zu kennen - oder eine große Szene, in die die Hauptfigur involviert ist.

Ich nehme dann die oberflächlichste Emotion / Faszination / Problemstellung / Szene und untersuche, warum die Figur so handelt, wie sie handelt - dasselbe lässt sich aber auch auf Sachverhalte / Konflikte anwenden.

Jeder Konflikt hat einen Kern - in diesem Kern treffen zwei (vielleicht unvereinbar erscheinende) Interessen aufeinander.
Drama ist immer Konflikt - hat man den tiefsten Konflikt gefunden (Kernkonflikt) - lässt sich rückwärts fast mathematisch die Struktur des Plots aufbauen - bis es am Ende der Geschichte wiederum zum Unvermeidbaren kommt - und der Konfliktkern sich dem Zuschauer im vollen Ausmaß offenbart. Der Anfang des Entwicklungsprozesses - die Kernfindung und der gefundene Kern - ist das Ende der filmischen Story - und vice versa. Doch zurück zur Findung des Hauptkerns:


Nach und nach ergänze ich die Kreise immer weiter nach innen - mit weiteren konzentrischen Kreisen.
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In den nächsten Schritten - und somit weiter innen liegenden Kreisen, die ich hinzu füge - werde ich mir immer bewusster, was die jeweilige Emotion auslöst - eine jeweils tiefere Emotion, ein tiefer Wunsch, ein Sehnen...

Auf diese Weise stellt man relativ schnell fest, dass emotionale Themen, von denen es etwa ein Dutzend gibt, allein nicht als Projektkern genügen, im Kern lässt sich jedes Thema auf einen Grundkonflikt, ein zentrales Spannungsfeld reduzieren.

Die emotionalen Themen helfen eher Story, Figuren und Plot Schicht für Schicht aufzuladen, ähnlich wie ein Genre.


Dabei werde ich mir immer wieder bewusst, was dabei die Wirkung auf den Rezipienten ausmacht, was die Emotionen bei ihr oder ihm auslösen.

Gibt es Schnittmengen für Menschen, die nicht über die persönliche Aufladung verfügen, über die ich als Macher verfüge, kann ich meine vielleicht sehr persönliche Geschichte / Idee wirklich einer breiteren Gruppe von Rezipienten näher bringen?

Dabei hilft es, eigene Lebenserfahrungen, dramaturgische Werkzeuge und vielleicht auch Beispiele oder Momente aus anderen Filmen und Werken mit der Analyse abzugleichen und immer wieder zu überprüfen.

Tatsächlich ist bereits fast alles schon einmal erzählt worden - und nur selten werden die Grenzen der Kernerzählungen derart erweitert, dass die Rezipienten dennoch fasziniert sind.

Zudem führe ich während dieses Prozesses gerne sehr intensive Gespräche mit sehr vertrauten, aber auch fremden Menschen und suche in Museen, Buchhandlungen, Fachgeschäften oder anderen Orten, die mit meiner Story zu tun haben nach Vertiefungen, Erweiterungen und neuen Perspektiven für meine Erkenntnisse.
Natürlich inspirieren und befruchten derartige Tätigkeiten den Kernfindungsprozess maßgeblich.

Bei all dem geht es wohlgemerkt erst einmal nur um den Kernfindungsprozess, noch nicht um die Story-Entwicklung selber, der bei intensiveren Projekten massive Tiefenrecherchen folgen.

Zunächst geht es nur darum, den globalen (allgemein gültigen) Nukleus des Ganzen, was man zu machen beabsichtigt, zu finden.

Irgendwann kommt man schließlich beim innersten Kreis, beim Kern der Sache an.

Man merkt, dass es plötzlich nicht weitergeht, dass es keine weiteren Kreise gibt, da es in diesem Moment oftmals eine tiefe Selbsterkenntnis gibt, plötzlich wird man auf sein eigenes Wesen zurückgeworfen.
Nun hat man vermutlich das Potential für eine existentielle Geschichte gefunden.

Oft ist das zunächst schmerzhaft, später jedoch sehr erhellend.

Jeder Künstler und Kreative, der behauptet, er erzähle nichts über sich, arbeitet entweder nur oberflächlich oder er / sie lügt.

Plötzlich erkennt man, weiß und kann plötzlich alle Puzzleteile zusammenfügen, alles macht Sinn und bekommt Bedeutung.

Viele der losen Ideen, Bilder, Visionen, Konflikte usw. die man gerne in sein Werk packen wollte - passen plötzlich zusammen - weil man den Kern gefunden hat - eine Art ultimative Schnittmenge, die eine so große menschliche Wahrhaftigkeit hat, dass man auf ihr gleich unzählige tolle Stories oder Arbeiten aufbauen kann.

Der Geschichtskern beinhaltet eine tiefe, allgemein gültige Wahrheit über das Leben, unser Dasein, unser Wesen.

Dieser Kern ist auch nicht banal, sondern das einzig probate Mittel, um Menschen, die einen persönlich nicht kennen oder kongruente persönliche Erlebnisse hatten, mit seinen künstlerischen oder kreativen Arbeiten tief zu berühren.

Aus ihm lässt sich später die beherrschende Idee formulieren - was die Aussage des Werkes / der Arbeit ist.

Im Kern jeder Geschichte und jeder Kommunikation geht es immer um das menschliche Spannungsfeld von Angst und Entgrenzung, das sich auf verschiedene Weisen offenbaren kann.

Ist der Konflikt kein Konflikt zwischen zwei Parteien, sondern ein tiefer innerer Konflikt (oder Widerspruch) muss beim Film (aber auch bei anderen visuellen Medien und Kommunikationen) der einfachste und klarste Weg gefunden werden, diesen inneren Konflikt zu externalisieren - sichtbar zu machen.

Dies geschieht in der Regel durch Antagonisten oder äußere Widerstände, die den Protagonisten zwingen, sich mit seinem inneren Problem auseinanderzusetzen und dabei sein Wesen zu offenbaren.

Der „Kernstrang“ für die eigentliche Erzählung / Umsetzung kann später noch mit reichlich Umwegen, Hindernissen, Plot etc. angereichert werden.

Der Projektkern selber ist - wie alles im Leben dual aufgeladen. Dies macht das Spannungsfeld von Drama aus - zwei widerstrebende Kräfte, die jeder Mensch (mal offensichtlicher, mal versteckt) in sich trägt.

Der Kern hat erst einmal nichts mit der persönlichen Haltung zu tun, über die man sich erst im nächsten Schritt klar werden muss. (Siehe Teil II dieses Artikels)
WIDERSTÄNDE
Man findet nicht immer auf Anhieb den richtigen Weg zum Projektkern; oft spürt man auch innere Widerstände, die einen davon abhalten, die Analysekriterien klar zu sehen und einzuordnen, vielen fällt es deswegen im Privatleben leicht, anderen Menschen Rat zu geben und zu helfen, für sich selber jedoch die klarsten und offensichtlichen Antworten in schwierigen Situationen - aufgrund der eigenen emotionalen Betroffenheit - nicht sehen zu können.

Dies gilt beispielsweise für Liebeskummer und andere zwischenmenschliche Unwägbarkeiten und Schwierigkeiten, aber natürlich auch im Beruflichen.

Nicht gelöste innere Widerstände bei der Kernfindung zeigen sich in externalisierten Konflikt- / Kernteilen.

Diese offenbaren sich gerne in zusätzlichen (überflüssigen) Nebenschauplätzen, verkorksten Aufladungen / Bedeutungen von Nebenfiguren oder Situationen, erklärenden Dialogen, überbordender Symbolik oder Metaphorik, surrealen Traumbildern, ebenso gearteten Flashbacks etc.

Viele "fertige" Filme und andere künstlerische / kreative Arbeiten bleiben ein Findungsprozess des Machers / der Macherin, die nicht wissen, was sie eigentlich antreibt und diesen Prozess auf das Werk verlagern und instinktiv erzählen / schaffen.

Das ist für bestimmte Genres und Arbeiten durchaus interessant und legitim, manchmal entstehen auch auf diese Herangehensweise erfolgreiche Arbeiten, aber nicht selten gehen derartige Projekte kräftig in die Hose.

Gerade im seriellen Bereich z.B. ist man völlig aufgeschmissen, wenn man nicht weiß, was es zu erzählen gilt.
Nicht umsonst gibt es deswegen Bibeln, die den Geschichtskern, die kontrollierende Idee und mögliche emotionale Themen, oftmals sogar detaillierte Konflikte und Wendepunkte sowie die kompletten Steps der Figurenentwicklungen vorgeben.

Das ist das Geheimnis des Erfolges einiger großartiger (US) Serien, die uns fesseln und faszinieren.

So etwas braucht jedoch stets Zeit und viel Introspektion, ständiges Hinterfragen und Infragestellen - das ist ein sehr wichtiger Teil des künstlerischen / kreativen Prozesses, es ist das Fundament.


Nicht immer sind Projekte derart persönlicher oder intensiver Natur, schon oft habe ich Filme, Projekte und Beratungen für Unternehmen gemacht oder bin später zu Projekten hinzugekommen.

Grundsätzlich hilft es, sich in solchen Fällen sehr intensiv mit Fragen der Markenidentität, mit Kommunikationszielen etc. auseinanderzusetzen, um den exakt richtigen Kern zu finden und die richtige Emotion zu treffen.

Manchmal, wenn man von verschiedenen Kommunikationszielen, Ambivalenzen oder Zielsetzungen, aber auch von mehreren Visionen oder Einfällen ausgeht, hilft es, jeden einzelnen Ansatz auf den Kern herunter zu brechen.

Dabei arbeite ich mit zwei - oder drei Kreismodellen, um die Kernkonflikte und die Schnittmenge bestimmen zu können.


Wenn man die verschiedenen Kerne analysiert / erkannt hat, liegt entweder zumeist der Kernkonflikt offen - oder anhand der Schnittmenge der konzentrischen Kreise lassen sich Konflikte sehr präzise bestimmen.

Das / die Kreismodell(e) hilft / helfen einem, die Schnittmenge verschiedener Positionen zu finden und Hauptkonflikte zu lokalisieren.
Die Geschichte / Erzählung / Kommunikationsstrategie liegt in der Schnittmenge der verschiedenen Kreise.

Es liegt nun am Erzähler / Kreativen / Künstler, die Schnittmenge der verschiedenen Kerne zu einem Werk zu verschmelzen und mit erzählerischem Fleisch wie Plot, Figurenentwicklungen, Wendepunkten, Handwerk und Weiterem anzureichern.


Die meisten äußeren / gestalterischen Dinge finden sich schließlich wie magisch fast von alleine, hat man erst das Herz dessen, was es zu erzählen / kommunizieren gilt, gefunden.

Oft merken Filmemacher dann, dass sie gewisse bombastische Szenen gar nicht brauchen, plötzlich lassen sich Projekte für sehr viel weniger Mittel realisieren.

Aber saubere Storyentwicklung bzw. das Schaffen eines Fundamentes für kreative / künstlerische Projekte brauchen ihre Zeit.

Das ist für mich das kreative und auch künstlerische Arbeiten von innen heraus, vom Kern.


Man bekommt mit dieser Methode oftmals selbst scheinbar unvereinbare Dinge / Konflikte zusammen, da Drama, wie bereits zuvor erwähnt, immer Konflikt IST.

Drama funktioniert aus genau diesem Grund so fantastisch, da unser Leben voller Konflikte ist - Kino, Filme und gute Entertainmentprojekte (und auch viele Kunstwerke) funktionieren durch das Drama, das sie in sich tragen - ein visuelles Werk mit einer erzählerischen Zeitkomponente ohne Drama (und ohne Geschichtskern) ist nicht nur ein Haus ohne solides Fundament, sondern auch noch ohne Wände...

Ich kann an dieser Stelle nur noch einmal einen sehr weisen Lehrer zitieren, der an der dffb unterrichtete:

Listen to the material, once you've found it.
The material is always wiser than you (are).


Wenn man auf sein Material, den Geschichtskern hört (und ALLES, was später hinzu kommt), spürt man sofort, wenn man Erzählgrenzen oder Konventionen des vom Zuschauer / Rezipienten Akzeptierten verletzt, andererseits kann man auch nur auf diese Weise die Grenzen ausloten, ohne das Interesse der Zuschauerin / des Zuschauers zu verlieren.

Die Herangehensweise der Kernfindung lässt sich für alle Arbeiten anwenden, die einen emotionalen Kern haben oder eine Story erzählen, dabei ist es egal, ob die Story in einem Bild, in 10 Sekunden, in einem zweistündigen Spielfilm, auf 1000 Buchseiten oder in einer packenden Rede erzählt wird.



PROJEKTKERN (I) ©2014 Janosch Orlowsky. Nachdruck und / oder Verbreitung nur mit schriftlicher Genehmigung.
APPENDIX I:

DER MYTHOS DER AMBIVALENZ IN DER FILMISCHEN ERZÄHLUNG

Viele Künstler, Kreative und Filmemacher wollen Ambivalenz schaffen, Ambivalenz erzählen, "weil das Leben voller Ambivalenzen" ist.

Das Geheimnis von Ambivalenz ist immer ein existentielles.

Gerne wird auch der Begriff der "Hassliebe" als Synonym für Ambivalenz gebraucht.

Hass und Liebe schließen sich eigentlich aus, das Paradoxon ist jedoch tatsächlich ein elementares Resultat der Dualität unseres Daseins.

Zu jedem Ding, zu jeder Sache, die für den Menschen Bedeutung und Wert hat, gibt es eine DIAMETRAL entgegengesetzte Sache / Wert / Emotion.
Dies ist eines der größten Geheimnisse von Konflikt und Drama - ohne elementares Spannungsfeld / Konflikt keine Emotionen, die sich transportieren.
Emotionen entstehen überhaupt erst im dualen Spannungsfeld des Lebens.
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©2014 decodingcinema.com / Janosch Orlowsky
Ambivalenz entsteht zwischen zwei elementaren Kräften, in ihrem Spannungsfeld, im Film empfindet der Zuschauer Ambivalenz, wenn es im Kern zwei unvereinbare Dinge gibt:

Das Ende von "L'année dernière à Marienbad". Eine Frau muss sich entscheiden, ob sie ihre Angst überwindet, um ein freies, selbstbestimmtes Leben mit dem Mann, den sie liebt, führen zu können - oder ob sie sich ihrem Gefängnis aus Angst und damit verbundener Sicherheit hingibt.

Tom Cruise in Spielbergs "War of the Worlds" - sein Sohn will in den Krieg gegen die extraterrestrischen Angreifer ziehen, gleichzeitig droht seine Tochter von Fremden geraubt zu werden. Er muss sich für seine jüngere, schutzlosere Tochter entscheiden, während sein Sohn ihm entgleitet. Zur dramatischen Erhöhung des Druckpotentials findet das Ganze an einem Hügel statt, auf dem die Armee aussichtslose Angriffe gegen die Schutzschilde der Raumschiffe fliegt, die Nacht wird von Bombenblitzen erleuchtet.

Ambivalenz erzählt sich automatisch über die Story, vor allem über die Qual der Wahl des Protagonisten / der Protagonistin.

Ambivalenz ist Drama und alle Künstler, die die Ambivalenz ihres Werkes in den Vordergrund stellen, kennen das Drama nicht - oder nur seine Oberfläche.

Wenn eine Frau in einem Autohaus steht und sich zwischen einem roten und einem blauen Sportwagen entscheiden muss, ist dies keine Ambivalenz im filmischen Sinne, sondern eine oberflächliche, banale persönliche Entscheidung, die vielleicht komödiantisch nett erzählt werden kann, aber keine tiefe Berührung beim Zuschauer erreicht.


Ambivalenz in filmischen Erzählungen erzählt sich auch niemals in einem einzigen Moment oder durch Oberflächen, theoretische, intellektuell-abstrakte Ideen, sondern durch eine schematische Aufladung:

A | B | A | B... und so weiter, bis es zum ultimativen Entscheidungsmoment C kommt.
In manchen Fällen kann C auch von der Erzählung ausgeschlossen werden, was eine umso stärkere Ambivalenz des Zuschauers hervorrufen kann.


A und B kristallisieren sich im Laufe des (ambivalenten) Geschehens durch Handlungen der Protagonistin / des Protagonisten immer mehr heraus - und nicht durch Erklärungen oder Symbolik / Metaphorik.

Die Handlungen sind jedoch bis zu einem gewissen Punkt nur Symptom eines inneren Konfliktes mit zwei entgegen gesetzten Positionen, die so tief liegen, dass sie eine existentielle Bedeutung für die Figur haben.

A und B sind zwei unvereinbare Positionen, die im Wesenskern des Protagonisten / der Protagonistin verankert sein müssen.

Das Ringen der Figur um diese Entscheidung allein kann bereits das komplette Rückgrat einer filmischen Story ausmachen.

Die Serie Breaking Bad spielt auf faszinierende Weise mit der Ambivalenz der Hauptfigur, die sich wunderbar zu den Zuschauern transportiert. Die innere, zunächst pragmatische Ambivalenz der Hauptfigur Walter White wird zu einer moralisch-ethischen Gewissensfrage für den Zuschauer - die Autoren und Macher der Serie ziehen hierbei alle Verführungsregister, um die Rezipienten zu fesseln...

"Ambivalenz" als Regieanweisung kann auch niemals von einer Schauspielerin / einem Schauspieler gespielt werden.

Gute Regisseure wissen das und verlangen niemals von ihren Darstellern, Ambivalenz zu spielen.

Es funktioniert nur: erst A, dann B, dann wieder A, dann wieder B usw.

A und B sind zwei ganz klare Positionen und Motivationen, die sich (zumindest für die Figur in diesem Moment) ausschließen.

So wird Zerrissenheit, der ultimative Ausdruck (Symptom) von Ambivalenz erzählt.

Ein toller Moment ist der emotionale Höhepunkt (hier: die letzten 3 Minuten) von Kathryn Bigelows "Zero Dark Thirty", wo die Protagonistin (Jessica Chastain) eindrucksvoll zeigt, was Ambivalenz im Film bedeutet.

Von vielen wurde das Ende des Filmes nicht richtig gelesen, wobei "Zero Dark Thirty" ein Film über das Recht des Menschen ist, über andere zu richten. Trotz aller Aufladung mit Bedeutung und einem hohen Wert, den Bigelow erzielt, bezahlt die Protagonistin am Ende einen sehr hohen Preis.
Insofern ist dieser Film eine Tragödie, so faszinierend und vielleicht auch verherrlichend er von der Jagd auf den (damals) meist gesuchten Mann der Welt erzählen mag.


APPENDIX: AMBIVALENZ ©2014 Janosch Orlowsky. Nachdruck und / oder Verbreitung nur mit schriftlicher Genehmigung.
APPENDIX II:

EMOTIONALES ERZÄHLEN


Ein weiteres großes "Geheimnis" der filmischen / emotionalen Erzählung und Inszenierung liegt darin, Emotionen nacheinander zu erzählen:

erst 1 | dann 2 | dann 3 | dann 4...

Emotionale Überlagerungen schwächen oder egalisieren sich sogar gegenseitig.

Alle Emotionen, die dramatisch in einer "werdenden Zeit" (ein schöner Begriff eines anderen Lehrers an der dffb) erzählt werden, MÜSSEN nacheinander sauber erzählt werden.

Wenn man über die Straße geht und von tausend Reizen angesprungen wird, kann man auch nicht alle Botschaften gleichzeitig wahrnehmen.

Das liegt in der menschlichen Natur und wird von vielen Drehbuchautoren aber auch anderen Künstlern, Kreativen und auch Werbestrategen gerne vergessen.

Gerade in der heutigen, reizüberfluteten Zeit, ist die Beachtung dieses Prinzips für jede emotionale Erzählung und Kommunikation elementar.



APPENDIX: EMOTIONALES ERZÄHLEN ©2014 Janosch Orlowsky. Nachdruck und / oder Verbreitung nur mit schriftlicher Genehmigung.